
Der ungewöhnlichste Gast bei dieser Weihnachtsfeier kommt nicht durch die Tür, hat keine Beine und kann nicht sprechen. Unscheinbar hängt er gute zwei Meter über dem Fußboden und streckt seine grünen Zweige und Blätter in den Raum. Mit ihm abgeben will sich offenbar niemand. Dabei will er, der Mistelzweig, doch nur Glück bringen.
Doch viele bemerken ihn erst gar nicht. Die anderen haben für ihn lediglich ein schelmisches Grinsen übrig. Da treten doch zwei junge Leute unter den Mistelzweig.
Donnerstag, 18.30 Uhr, Haupthaus der Augsburger Allgemeinen. Die Volontäre und ihre Journalistenschule haben zum ungezwungenen Plausch mit Plätzchen und Glühwein geladen. Dafür mussten sie ihren Seminarraum kräftig umbauen. Sie trugen Tische und Stühle weg und stellten Stehtische auf. Die Volontäre beklebten die Fenster mit Sternen und Kugeln aus Zeitungspapier und ließen digitale Flocken an der Wand schneien. Zudem schafften sie Tannenzweige und einen Mistelzweig herbei. Letzteren hängten sie in der Mitte des Raums auf.
Die Volontäre waren bei der Gästewahl nicht kleinlich. Sie hatten die Leiter der Lokalredaktionen, Volontärsbetreuer und Mantelredakteure eingeladen. Einige von ihnen kamen tatsächlich auf eine Tasse Glühwein vorbei und mischten sich unter die jungen Kollegen. Manchen gefiel es sogar so gut, dass sie am liebsten im Seminarraum übernachtet hätten. Nur der Mistelzweig fand keine Freunde. Und wenn doch jemand aus Versehen unter dem Grün stand? Dann verdrückte er sich möglichst unbemerkt wieder. Würden auch die zwei jungen Leute, die sich leichtfertigerweise unter den Baum begeben hatten, so einfach davonkommen?
Ein Gast wollte sich nicht damit abfinden. Sie müssten sich jetzt schon küssen, witzelte er. Durchsetzen konnte er sich nicht. Die beiden weigerten sich und eilten mit geröteten Backen davon.
Bis zum Schluss baumelte der Zweig alleine von der Decke. Dann hängte ihn das Aufräumteam wieder ab. Seiner dem Brauch entsprechenden Bestimmung konnte der Mistelzweig zumindest an diesem Abend nicht gerecht werden.
Fotos: Ida König, Andreas Baumer