
Stefan Battistellas Imbiss in Kulmbach ist mehr als ein Ort, an den die Menschen gehen, um ihren Hunger zu stillen. Rund um den Laden tobt das Leben wie bei einem Konzert.
Stefan Battistella ist Imbissbudenbetreiber. Er ist Straßenmusiker. In einer Band. In Kulmbach. Sein Trio spielt täglich zehn Stunden. Er. Der Grill. Und der Duft. Auf zehn Quadratmetern. Auf dem Marktplatz. Stefan Battistella ist der Leadsänger. Die Menschen lieben ihn. Er ist ein Entertainer, der mit dem Publikum spielt. Stefan Battistella ist Imbissbudenbetreiber. Ohne ihn wird es hier weniger Leben geben. Aber ein paar Jahre tritt er noch auf. Mit dem Grill. Und dem Duft. Und heute mit mir. Ich darf mit auf die Bühne. Für ein paar Songs.
Ein bekannter Song auf dem Kulmbacher Marktplatz
Um 11.34 Uhr schreitet eine blonde Frau über den Kulmbacher Marktplatz. Sie dürfte um die 40 Jahre alt sein. Ihr Haar weht. Sie geht schnell. Eine zarte Priese zieht über den sonnengefluteten Platz. Die blonde Frau strahlt, als sie in Richtung Bühne läuft. In Richtung Imbiss. Sie kennt Stefan Battistella. Sie liebt seine Band. Aber am meisten liebt sie Battistella mit seiner unverwechselbaren Art. Sie liebt auch seinen größten Hit. Und sie will ihn hören. Jetzt, um 11.34 Uhr, sollen Stefan Battistella und seine Kollegen ihn spielen.
Jeder in Kulmbach kennt diesen Hit. Kennt die Kulmbacher Bratwurst. „A Boar“. Ein Paar. Andere bereiten tagtäglich anderswo in der Stadt die Kulmbacher Bratwurst zu. Aber die blonde Frau will sie nur von Stefan Battistella haben. Weil er sie so toll macht. Mehr aber noch, weil Stefan Battistella sie zum Strahlen bringt. „A Boar, bitte“, sagt die blonde Frau also. So heißt er, der Song. Den jeder kennt. Battistella lächelt. Die blonde Frau auch.
Eine zehn Quadratmeter große Bühne
Das Trio fängt an. Es beherrscht den Hit aus dem Effeff. Jeder Handgriff sitzt, jeder Ton klingt, wie er klingen soll. Jeden Tag. Auf dem Marktplatz in Kulmbach. Auf einer runden Bühne von zehn Quadratmetern. Zehn Stunden lang. Der Grill zischt saftig, aber auch stechend, als Battistella die dünne, lange und blass rosafarbene Bratwurst darauf legt. Kulmbacher Bratwürste sind ganz besonders fein, darum gehören sie im Gegensatz zu vielen anderen fränkischen zu den sogenannten „katholischen Bratwürsten“. Sie schemcken nicht ganz so saftig und deutlich milder als die meisten anderen.
Die blonde Frau hört dem Grill gern zu. Aber sie kommt nicht wegen ihm. Sie kommt auch nicht wegen des Dufts. Dabei könnte sich sein Klang könnte nirgends so gut entfalten, so intensiv, wie auf dieser kleinen Bühne. Einem Pavillon. Zehn Quadratmeter. Battistella öffnet ein Fenster. Der Duft verteilt sich dadurch stärker. Er ist weniger intensiv. „A Boar“ klingt nun anders. Etwas seichter vielleicht. Die blonde Frau liebt diesen Song. So oder so. Sie kommt wegen Battistella.
Mehr als ein Imbiss auf dem Kulmbacher Marktplatz
Battistella und die Frau sprechen vom nahenden Altstadtfest. „Der von nebenan kann ja gerne alles Mögliche verkaufen. Aber keine Bratwürste. Da soll er sich dran halten“, sagt Battistella. „Klar, ich kümmere mich darum“, antwortet die blonde Frau. Sie arbeitet bei der Stadt. Battistella findet seine gute Laune schnell zurück. Er wirkt selbst dann nicht ärgerlich, wenn er sich ärgert.
Die Bratwurst ist fertig, jetzt leicht angebräunt, aber nicht zu sehr. Sie entwickelt nur einen schwachen Glanz, denn aus ihr trieft weniger Fett als aus so vielen anderen Bratwürsten. Ihre zu Beginn so glatte Oberfläche ist nun etwas schrumpelig. „Sie nehmen sie mit?“, fragt er. „Genau, wie immer.“ „Hier bitte sehr, einen schönen Tag wünsche ich Ihnen“, sagt Battistella. Die blonde Frau hat wenig Zeit. Sie geht in der Mittagspause zum Pavillon, in dem Battistella spielt. Als der Song vorbei ist, gibt sie Battistella ein paar Münzen. Battistella legt diese in seine Kasse. Er lächelt. Die blonde Frau auch. Sie geht in Richtung Brunnen. Mit wehendem Haar.
Battistella ist ein Mann, dem man gerne zuhört
Ich sitze ganz hinten auf der Bühne. Gerade ist kein Publikum da. Die Kirchenglocken läuten zwölf Mal. Dabei entfalten sie einen schweren Klang. Nichts für Feinschmecker. Battistella und Band legen eine Pause ein. Der schmale Mann mit der dunkelblauen Schürze über seiner Jeans, den wachen Augen und dem Dreitagebart dreht sich zu mir um.
„Wissen Sie, warum die Bratwurst ‚Bratwurst‘ heißt?“ Ich überlege. Zumindest scheinbar. Denn ich weiß es nicht. Das weiß ich. „Das kommt vom Brät, das man in die Wurst füllt. Nicht vom Braten, wie jeder denkt.“ Die etwa 50 Gramm schwere Füllung der Kulmbacher Bratwurst besteht zu großen Teilen aus Schweinefleisch.
Bald ist Schluss mit Battistellas Straßenmusik
Zwischendurch spielt Battistella mit seinen Kollegen noch ein anderes Stück – „Cheeseburger mit wenig Ketchup“ heißt es. Die Kulmbacher kennen dieses Lied, es ist aber nicht von hier. Und auch kein echter Hit. Ein Song, den Coverbands spielen können. Sicher, gekonnt und souverän liefert das Trio ab. Battistella schaut wieder zu mir. „Das Wetter ist ja klasse. Aber wenn es später schlechter wird, wie die angesagt haben, dann stehst du da mit deinem Talent.“
Wenn es gerade ruhig ist, spricht Battistella über Gott und die Welt. Mal die kleine Welt einer oberfränkischen Kleinstadt. Mal die große mit all ihren Problemen. „Wenn ich hier aufhöre, dann war’s das wohl. Meine Kinder übernehmen den Laden nicht. Ist auch okay so.“ Ich muss nicht fragen, wieso. Oder, was die Kinder stattdessen machen. Battistella liebt es zu erzählen. Und die Leute hören gerne zu. Ich auch.
Andere spielen auch fehlerfrei, aber keiner spielt so
„Meine Tochter ist mit dem Studium fertig. Arbeitet jetzt in Bayreuth. Mein Sohn will das Abitur machen und hat dann auch andere Pläne.“ Ein harter Einschnitt. Immerhin betreibt Battistella vier Imbissläden. Vor rund 20 Jahren übernahm er den Betrieb von seinen Eltern. Nach ihm ist also Schluss. Ich erinnere mich an die blonde Frau. Sie kann vielleicht noch zehn Jahre die Auftritte Battistellas bestaunen. Ihn bestaunen. Dem einzigartigen Duft zuhören. Und dem saftigen Zischen des Grills lauschen.
Andere werden Hits wie „A Boar“ weiterhin spielen. Aber nicht so. So, wie es Battistella tut. Wie er es fast jeden Tag tut. Mit dem Grill. Und dem Duft. Vielleicht spielen andere auch fehlerlos. Aber sie spielen nicht so. Stefan Battistella ist Imbissbudenbetreiber. Er ist Straßenmusiker. Die Menschen lieben ihn. Und er liebt die Menschen.